Grundkurs Wirtschaft

für Wirtschaftsinformatiker

1.5 Wie die Volkswirtschaft funktioniert

Autoren: Peter Paic & Julian Schopp

Nach den individuellen und gruppendynamischen Einflussgrößen für eine Entscheidungsfindung steht nun die Funktion der Volkswirtschaft am Beispiel von drei ausgewählten Aspekten im Mittelpunkt.

Die folgenden Annahmen Nr. 8 bis Nr. 10 setzen sich mit Fragen zum Lebensstandard, zu den Preisen und der Inflation sowie zum wechselseitigen Verhältnis zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit auseinander.
Hier treffen nun alle Entscheidungen und Interaktionen der Menschen in der Volkswirtschaft zusammen.

Annahme Nr. 8: Der Lebensstandard eines Landes hängt von seiner Produktion an Waren und Dienstleistungen ab.

Es gibt große Unterschiede im Lebensstandard auf der Welt. So besteht nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamt für das Jahr 2014 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner (jeweiliger Preis in US$), alleine innerhalb Europas ein großes Gefälle.

In Deutschland liegt das BIP mit 47.774$ um ein vielfaches höher als in Bulgarien mit 7.751$. Europäische Spitzenreiter sind Luxemburg mit 119.488$ und die Schweiz mit 86.468$. Polen kommt mit starken Wachstumsraten auf 14.411$ und Griechenland auf 21.648$. 

Definition „Bruttoinlandsprodukt“ (BIP):

„Der Marktwert aller für den Endverbrauch bestimmter Waren und Dienstleistungen die in einem Land in einem bestimmten Zeitabschnitt hergestellt werden.“
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 600.

Das Vereinte Königreich und Frankreich liegen mit 45.729$ bzw. 44.332$ nah beieinander. Dagegen liegt das BIP in China bei 7.572$, in Singapur bei 56.287$ und in Japan bei 36.222$.
Russland kommt auf 12.718$ und Malawi aus dem afrikanischen Kontinent auf 344$.

Definition „Wirtschaftswachstum":

„Die Veränderung der Menge an Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.“
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 14.

Dabei hat es über die Zeit eine starke Veränderung des Lebensstandards gegeben. In den USA stieg das Realeinkommen im letzten Jahrhundert jährlich um zwei Prozent.
Das heißt, dass sich das Realeinkommen alle 35 Jahre verdoppelt. Im 20. Jahrhundert hat sich das Realeinkommen in den USA sogar verachtfacht.

Definition „Lebensstandard“:

„Bezieht sich auf die Menge an Waren und Dienstleistungen, die von der Bevölkerung eines Landes gekauft werden können.“
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 15.

Entscheidender Faktor für die Höhe des Lebensstandards ist die Produktivität eines Landes. Hinter dem Begriff der Produktivität steht die Menge der pro Arbeitsstunde produzierten Güter (Faktorproduktivität).

Mit Hilfe dieser Messgröße lassen sich die Unterschiede zwischen den Nationen im Lebensstandard weitreichend erklären. Entscheidend für den Lebensstandard ist das Produktivitätswachstum im eigenen Land.

Definition „Produktivität“:

„Die Menge der pro Arbeitsstunde produzierten Waren und Dienstleistungen.“
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 15.

So bezieht sich der Lebensstandard auf die Menge an Waren und Dienstleistungen, die von der Bevölkerung eines Landes gekauft werden können.
Um eine umfassendere Aussagekraft zum Lebensstandard zu gewinnen fließen beim Human Development Index (HDI) der UNO auch soziale Indikatoren mit ein. Dies sind neben wirtschaftlichen Aspekten, wie der Berechnung eines Einkommensindex, insbesondere Aspekte der Lebenserwartung und der schulischen Bildung.

Annahme Nr. 9: Die Preise steigen, wenn zu viel Geld in Umlauf gesetzt wird.

Befindet sich in einer Volkswirtschaft zu viel Geld im Umlauf, dann steigt die Inflation. Verantwortlich für die Geldmenge ist die Notenbank. Diese steuert je nach Konjunktur- und Finanzlage die Geldmenge in einer Volkswirtschaft.

Hinter dem Begriff der Inflation steht der allgemeine Anstieg des Preisniveaus in einer Volkswirtschaft. Beispiel der Hyperinflation in Deutschland aus den 1920er-Jahren: 

  • Kostete 1921 eine Tageszeitung in Deutschland 0,30 Mark stieg der Preis durch die Hyperinflation bereits im November 1922 auf 70 Mio. Mark für eine Zeitung. Ursache der hohen Inflation ist das hohe Geldmengenwachstum. Sowohl die Geldmenge als auch das Preisniveau verdreifachten sich in den 1920er-Jahren in Deutschland monatlich. 

Definition „Inflation“:

Inflation (von lat.: das Sich-Aufblasen; das Aufschwellen) bezeichnet ein „Anstieg des Preisniveaus der Volkswirtschaft“.
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 16. 

Die meisten Industrienationen hatten in den 1970er-Jahren hohe Inflationsraten. Eine hohe Inflation ist mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbunden, welche sich u. a. in negativen Allokations- und Wachstumseffekten für eine Volkswirtschaft äußern können (Mankiw und Taylor 2012, S. 803 ff.).

Diese durch den Nobelpreisträger Milton Friedman geprägte Schule des „Monetarismus“ geht von u. a. folgender (hier vereinfacht dargestellter) Grundannahme aus: „Jede Erhöhung der Geldmenge, die nicht mit einem Wirtschaftswachstum einhergeht, zieht nach der Fisher-Formel  eine Inflation nach sich (Koesters 1982, S. 296).“ 

So verfolgt auch die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Zwei-Säulen-Strategie seit 1998 eine klassische monetaristische Linie.
Zum einen beobachtet sie die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage und zum anderen achtet sie auf die Entwicklung der Geldmenge. Doch bleibt im Gegensatz zu den 1970er Jahren die Inflationsrate seit den 2010er-Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau bei gleichzeitig anhaltend geringen Wirtschaftswachstum und einer stark ansteigenden Geldmenge.

Die Abbildung 3 zeigt für die Europäische Union (28 Länder) die jährliche Entwicklung des Wirtschaftswachstumes, der Inflation und der Geldmenge von 2004 bis 2014.
Deutlich zu erkennen ist der Einbruch der Wachstumsrate während der Finanz- und Wirtschaftskrise ab dem Jahre 2007. Seitdem entwickelt sich das Wachstum nur noch geringfügig.

Auffällig ist hier die seit dem Jahr 2004 bis 2014 fast verdoppelte Geldmenge M2  der Europäischen Zentralbank bei einer gleichzeitig fallenden Inflationsrate. Ein vergleichbares Bild zeigt sich in den USA. Hier ist die Geldmenge seit 2005 um 93 Prozent angestiegen während die Inflation immer weiter sinkt (Kremer 2015, S. 39).

Abbildung 3: EU 28. Geldmenge - Inflation – Wachstum Eigene Abbildung. Eurostat: Wachstumsrate des realen BIP-Volumens (EU 28) und harmonisierter Verbraucherpreis Indizes (HVPI) - Inflationsrate, (EU 28); EZB: Geldmenge M2 in Billionen Euro.

Die bekannten Wirkungsmechanismen des Monetarismus scheinen ausgesetzt. „Die derzeitige Entwicklung der Inflationsrate in Europa und in Amerika ist ein Mysterium – eine Entwicklung, die wir jetzt noch nicht völlig verstehen…“ (Eichengreen 2015, S. 25).

Offensichtlich fließt nur ein Teil der Geldmenge in echte Waren und ein größerer Teil in die nicht von der Inflationsrechnung erfassten Finanzmärkte. Diese sogenannte Vermögenspreisinflation hat mit dem Anstieg von Waren und Dienstleistungspreisen nichts zu tun.
Sie sorgt zunächst für steigende Kurse an den Finanzmärkten. Allerdings kann ein solch einseitiger Geldfluss die Stabilität des gesamten Finanzsystems in Wanken bringen (Kremer 2015, S. 39).

Um gegen die niedrigen Wachstumsraten seit der Finanz- und Wirtschaftskrise (siehe hierzu auch Exkurs US Subprime-Krise) anzugehen, hat die Europäische Zentralbank einen 3-Punkte-Plan aufgelegt.
Mit diesem Anleihen-Kaufprogramm sollen Staatsanleihen und andere Vermögenswerte bis zum September 2016 monatlich in Höhe von 60 Mrd. Euro durch die EZB aufgekauft werden.

Das Gesamtvolumen beläuft sich auf 1,1 Billionen Euro. Eine mögliche Verlängerung des Anleihen-Kaufprogramms über den September 2016 hinaus wurde in Aussicht gestellt.
Ferner soll der Einlagezins (Zins, zu dem die Banken bei der Zentralbank Geld „parken“ können) weiter abgesenkt werden. Dieser ist zum jetzigen Zeitpunkt schon negativ. 

Mit diesen drei Maßnahmen will die EZB zum einen das Wirtschaftswachstum und zum anderen die Inflationsrate im Euroraum auf einen Zielkorridor steigern (EZB 2015:1). 

Annahme Nr. 10: Die Gesellschaft hat kurzfristig zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit zu wählen.

Erhöht die Zentralbank die Geldmenge um die Konjunktur anzukurbeln, dann werden die Ausgaben und Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen stimuliert.

Durch die gestiegene Nachfrage erhöhen die Unternehmen mit der Zeit ihre Preise und weiten die Produktionsmenge aus. Dazu stellen die Unternehmen mehr Beschäftigte ein und senken damit die Arbeitslosenquote.

Definition „Phillips-Kurve“

„Eine Kurve die Inflation und Arbeitslosigkeit als kurzfristige Alternative zeigt“. „Die Phillips-Kurve illustriert die negative Korrelation von Inflationsrate und Arbeitslosenquote“.
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 970 ff.

Mankiw und Taylor (2012, S. 16.f.) sehen in dieser Wirkungskette einen kurzfristigen Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit in der Volkswirtschaft.
Die Senkung der Arbeitslosenquote kann so zu einem Anstieg der Inflationsrate führen. 

Den kurzfristig bestehenden Zielkonflikt zeigt die Phillips-Kurve. Sie geht ursprüngliche auf den britischen Ökonometriker A. W. Phillips (1958) zurück und beschreibt die Beziehung zwischen Arbeitslosenquote und Geldlohnsteigerungen. Dieser kurzfristige Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit wird meist im Kontext des Konjunkturzyklus betrachtet. 

Der Konjunkturzyklus gibt die ungleichmäßigen und kaum prognostizierbaren Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit wieder. Gemessen und dargestellt wird er in der Regel durch das Beschäftigungsniveau und die Höhe der Güter- und Dienstleistungsproduktion (BIP).

Definition „Konjunkturzyklus“:

Unter Konjunktur (lat.: coniunctura „Verbindung“; zu lat.: coniungere „verbinden“) und hier insbesondere dem Konjunkturzyklus, versteht man: „Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit wie Beschäftigung und Produktion“.
Quelle: Mankiw und Taylor 2012, S. 17

Als Konjunkturzyklus werden die Schwankungen aus Wirtschaftstätigkeit, wie z. B.: Beschäftigung und Produktion, bezeichnet. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie sollen Geld- und Fiskalpolitik zur Steuerung der Volkswirtschaft eingesetzt werden?

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